Juli 2021 PDF Drucken E-Mail

 

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Liebe Freunde, 

in diesem Rundbrief werde ich nicht wie üblich über die Ereignisse in unserem Projekt Tres Soles berichten und das hat seinen Grund. In den letzten zwei Jahren haben sich die Ereignisse bei uns einfach überstürzt. Ich berichte der Reihe nach:

Im Oktober 2017 hatten unsere Mitarbeiterin Sabine Jorkowski und ich einen Termin mit dem Vorstand des Kindermissionswerks in Aachen, das seit bald 20 Jahren alle Spenden für Tres Soles um 20% aufstockt. Auf Nachfragen, wie lange wir das Projekt weiterführen wollen bzw. ob eine Übergabe an einen Nachfolger geplant ist, gaben wir damals zu verstehen, dass Guisela und ich uns einig sind, das Projekt fortzuführen, bis wir eine Einrichtung oder Person gefunden haben, die bereit ist, das Projekt zu übernehmen. Auf Grund der sich laufend verschlechternden Situation rückte dieser Plan jedoch in immer weitere Ferne.

Einer der Hauptgründe ist die politische Situation, die sich mehr und mehr zu unseren Ungunsten entwickelt hat. Ihr wisst, dass der bolivianische Staat unser Projekt nie unterstützt hat, obwohl wir die Arbeit machen, zu der er von Gesetzes wegen verpflichtet wäre; im Gegenteil, man hat uns immer wieder bürokratische Hindernisse in den Weg gelegt. Wir hatten eigentlich gehofft, dass sich dies in der sozialistischen Regierung von Evo Morales (2005-2019) ändern würde, aber leider war dies nicht der Fall. Diese ablehnende Haltung uns gegenüber kann man eigentlich nur damit erklären, dass eine „unabhängige“ Erziehung“, die die Grundvoraussetzung für unsere Arbeit ist, nicht mit dem Programm einer „sozialistischen“ Regierung vereinbar ist. Zweifellos zielt diese darauf ab, die Schülerinnen und Schüler zu indoktrinieren. Der Höhepunkt dieser Entwicklung - und was es so schwer für einen Nachfolger macht - war das neue Gesetz, dass kein Mädchen und kein Junge länger als zwei Jahre in einem Heim verbringen dürfen. Damit wird unser gesamtes Konzept, das auf eine notwendige, langfristige Therapie- und Erziehungsarbeit bis hin zum Schulabschluss und einer Berufsausbildung ausgerichtet ist, in Frage gestellt. Leider haben wir keinen Grund anzunehmen, dass die Haltung der neuen Regierung unter Luis Arce eine andere sein wird. 

Ein anderes Problem, weshalb schon manch einer in den letzten Jahren dankend abgelehnt hat, ist die immer unsicherer werdende Finanzierung des Projekts. Wir hatten leider nie eine Finanzierung im herkömmlichen Sinn. Als das Projekt Tres Soles vor über 32 Jahren gegründet wurde, wurde es sporadisch von einzelnen Gruppen und Personen unterstützt.  Anfangs waren es Freunde und Ver- wandte, die sich später zum Förderverein Tres Soles zusammenschlossen. Aus Deutschland erhielten wir schon früh Unterstützung durch die Kirchengemeinde St. Konrad in Mannheim. Die finanzielle Lage verbesserte sich deutlich, als sich das Kindermissionswerk in Aachen bereit erklärte, alle Spenden um 20% aufzustocken. Ab diesem Jahr sind es auf Grund der Coronakrise nur noch 10%. Leider haben auch viele unserer langjährigen Spender ein Alter erreicht, in dem es schwerfällt, sich noch zu engagieren, vor allem finanziell oder aber sie weilen schon gar nicht mehr unter uns. Das ist leider eine traurige Tatsache. Neue Spender sind schwer zu gewinnen. Es braucht stets einen persönlichen Bezug. Diesen herzustellen wird aus verschiedenen Gründen immer schwieriger. Vor einigen Jahren schon wurden die regelmäßigen Touristenbesuche des deutschen Reiseveranstalters Aventoura in unserem Projekt wegen der unruhigen, politischen Lage eingestellt. Ebenfalls mussten wir vielfach auf ausländische Freiwillige verzichten, weil die Visabeschaffung immer komplizierter wurde. Uns blieb zu unserem großen Glück jedoch der SDFV des Bistums Mainz, eine anerkannte Entsendeorganisation von „Weltwärts“, einem deutschen Regierungsprogramm. Jahr für Jahr versorgte uns der SDFV mit engagierten Freiwilligen. Letztes Jahr haben wir dann, ebenfalls durch die Coronakrise, auch noch die letzten Freiwilligen dieser Organisation verloren. Die Besucher der Freiwilligen wie beispielsweise ihre Eltern oder Freunde und andere Verwandten wie auch die Freiwilligen selbst wurden nach ihrer Rückkehr in ihr Heimatland oft zu treuen Spendern.

Alternative Lösungen zu den Spenden zu finden, ist sehr schwierig. Seit Anbeginn produzieren wir, wie viele von euch wissen, in den kleinen, projekteigenen Werkstätten Kunsthandwerk (Karten, Umschläge, Schmuckkästchen und Nähprodukte), die vor allem in Europa vertrieben werden. Mit diesen Einkünften können wir aber nur einen sehr geringen Teil des Budgets abdecken. Überdies ist der Zweck dieser Arbeiten, teils therapeutischer Art, teils dient er dazu, Fähigkeiten zu entwickeln, um damit später einmal den Lebensunterhalt verdienen zu können. Hinzukommt, dass uns das Jugendamt schon öfters „Kinderarbeit“ vorgeworfen hat, obwohl die Teilnehmer über 14 sind und nur in ihrer Freizeit einige wenige Stunden pro Woche in diesen Werkstätten mithelfen. 

Mit der Verlängerung der Betriebsbewilligung seitens des Jugendamtes, die nächstes Jahr wieder fällig geworden wäre, hätte uns außerdem wieder ein Kleinkrieg bevorgestanden, der in der Vergangenheit oft mehrere Jahre gedauert hat. Welcher willige Nachfolger wollte während eines solchen Prozesses einsteigen? Selbst, wenn er so couragiert wäre sich auf den bürokratischen Marathon einzulassen, würde die Einarbeitungszeit insgesamt wenigstens zwei Jahre dauern, bis die Übernahme vollzogen werden könnte. Letztendlich springt er im letzten Moment noch ab, was wir auch schon erlebt haben oder er passt einfach nicht zu unserem Konzept und wird von den Kindern und Jugendlichen nicht akzeptiert. Aus unserer Erfahrung ist es ein sehr schwieriges Unterfangen und wir haben schon viele Enttäuschungen in der Hinsicht erlebt.

Nach reiflicher Überlegung werden wir daher im nächsten Halbjahr die Wohngemeinschaft Tres Soles mehr und mehr verkleinern, bis sie letztendlich aufgelöst sein wird, bis Ende dieses Jahres oder höchstens Mitte des nächsten Jahres. Für uns heißt das, dass wir in der nächsten Zeit für jedes einzelne Kind eine Lösung werden suchen müssen, wobei es auch sehr auf die Vorgaben des Jugendamtes ankommt, wie lange der Prozess dauern wird. Beim Studenten- und Lehrlingsheim Luis Espinal ändert sich vorerst nichts, da wir es noch einige Jahre weiterführen möchten.

Nun möchte ich noch einige persönliche Gedanken anführen. Ich habe immer betont, zuletzt während der Tournee 2017, dass ich nicht vorhabe, das Projekt noch mit über 60 Jahren (ich bin 1962 geboren) zu leiten, vor allem, wenn sich an den politischen Verhältnissen nichts ändert. Aber auch der Altersunterschied, der immer grösser wird zwischen uns und den Kindern und Jugendlichen, ist ein Grund. Meiner Meinung nach sollte man noch einen gewissen Bezug zur Jugend haben. Weitere Gründe sind der Energieverschleiß und die Abnutzungserscheinungen, die doch enorm sind. Das Konfliktpotenzial, das diese traumatisierten, jungen Menschen mit sich bringen, stellt eine ständige Herausforderung für jeden Erzieher dar und zudem birgt es ein beständiges Risiko für die Aufrechterhaltung des Projekts. Ein Gramm Marihuana, das von der Drogenpolizei in der Wohngemeinschaft gefunden worden wäre oder die geringsten Anzeichen von sexuellem Missbrauch zwischen den Bewohnern, wären den Behörden ein willkommener Anlass gewesen, das Projekt zu schliessen. Guisela und ich haben Jahrzehnte lang unter diesem manchmal fast unerträglichen Druck gearbeitet und ich glaube, es ist mehr als verständlich, dass wir nun etwas ruhiger und entspannter leben möchten, auch um unserer Gesundheit willen. 

Leider lässt sich das Problem nicht dadurch lösen, dass jetzt eine gute Seele sagt: „Ich spende das Doppelte“, denn wir sind buchstäblich zugeschnürt von einem Kampf an drei „Fronten“: Bürokratie–Finanzierung–Erziehungsarbeit. Meine Schilderungen mögen schrecklich nüchtern und pragmatisch klingen, doch Ihr könnt euch sicher vorstellen, wie Guisela und ich uns fühlen, unser Lebensprojekt nach so langer Zeit ununterbrochener Arbeit auf diese Weise auslaufen lassen zu müssen. Was uns am meisten schmerzt, sind die Kinder und Jugendlichen, auch wenn sie teilweise noch nicht lange bei uns sind, zu denen man dennoch eine engere, persönliche Beziehung aufgebaut hat und die wir jetzt im Stich lassen müssen - wenigstens kommt es uns so vor, trotz unserer Bemühungen für jede und jeden einen würdigen Platz zu finden. 

Wir haben diese Rundbriefe nie als „Bettelbriefe“ gedacht, sondern sie hatten immer das Ziel, euch stets über unsere Aktivitäten und auch ein bisschen über die politischen und sozialen Verhältnisse zu informieren, aber jetzt muss ich euch bitten, die Spenden nicht einzustellen, da das Studenten- und Lehrlingsheim Luis Espinal fortgesetzt werden soll. Diese Spenden haben in den letzten zehn Jahren mittels eines Stipendiensystems Dutzenden von jungen Menschen ermöglicht, eine Berufsausbildung zu absolvieren und zu nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft zu werden. Viele von ihnen kamen aus Tres Soles und konnten übergangslos von einem Haus zum anderen wechseln. Es wäre schön, wenn alle ihre Ausbildung abschließen könnten. Dieser Rundbrief ist übrigens kein Abschiedsbrief! Wir werden in Zukunft weiterhin regelmäßig über unsere Arbeit und die Geschehnisse berichten. 

Ein großes Dankeschön an euch alle, die ihr uns dieses jahrelange Arbeiten möglich gemacht habt. Ohne euch hätten wir diese 32 Jahre – und hoffentlich noch ein paar mehr- nicht durchhalten können! 

Liebe Grüsse aus Bolivien, 

Stefan und Guisela

 
 


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