Würdigung Pfarrei St. Konrad PDF Drucken E-Mail

 

Würdigung der Arbeit des Missio-Eine-Welt-Kreis der Pfarrei St. Konrad in Mannheim

Die Begebenheiten, von denen nicht ein Komma erfunden ist und die leider viel zu unbekannt sind, haben sich in der katholischen Kirchengemeinde St. Konrad in Rheinau/Mannheim, Deutschland, (heute mit anderen Pfarreien in der Seelsorgeeinheit Mannheim-Süd zusammengeschlossen) und im Straßenkinderprojekt Tres Soles, Quillacollo, Bolivien, ereignet. Bereits im Voraus möchte ich schon betonen, dass Tres Soles niemals all die Jahrzehnte ohne den Missio/Erste-Welt-Kreis dieser Pfarrei überlebt hätte, vor allem nicht ohne Magda Keller, der Vorsitzenden, und Hermine Haag, die die Buchhaltung geführt, Dankesbriefe geschrieben und Spendenquittungen ausgefüllt hat. Sicherlich haben Magda und Hermine auf dem Weg von ihrem Zuhause zum Pfarramt und zurück mehrere hunderte, wenn nicht tausende von Kilometern zurückgelegt, oft in Begleitung ihrer geduldigen Männer Karl-Heinz und Günter. Am 31. Dezember 2022 ist diese Epoche, man kann es nicht anders bezeichnen, zu Ende gegangen. Beide Frauen sind nun mittlerweile über 80 und das Spendenkonto der Kirchengemeinde musste aus vielerlei Gründen geschlossen werden.

Ich hörte zum ersten Mal von der Pfarrei St. Konrad im Jahr 1987, als ich als junger Freiwilliger in der Armenküche der Jesuiten in La Paz für die Korrespondenz zuständig war. Burkhard Kowalski, ein Student aus dieser Pfarrei, war einige Zeit zuvor ebenfalls als Freiwilliger in der Armenküche gewesen und seither wurde diese von der Pfarrei durch Spenden unterstützt.  Als meine bolivianische Frau Guisela und ich die Armenküche mit einer Gruppe von Straßenkindern verließen, weil sie kein geeignetes Umfeld für unsere Arbeit mit ihnen bot, erklärte ich den Mitgliedern der Pfarrei in einem Abschiedsbrief die Beweggründe für unseren Wegzug.

Die erste Zeit nach unserer Gründung der Kinder- und Jugendwohngemeinschaft Tres Soles war sehr schwierig. Meine Ersparnisse und eine Spende meiner Familie waren schnell aufgebraucht. Niemand wollte das kleine, neue Projekt unterstützen. “Als wir schon aufgeben wollten, geschah ein Wunder. Ich weiß, wir sind vernünftige und intelligente Menschen, aber es geschah tatsächlich ein Wunder”, schrieb ich in einem Rundbrief zum 25. Jubiläum von Tres Soles im Jahr 2014. “Ein Wunder, das uns erlaubte, unsere Arbeit bis zum heutigen Tag fortzusetzen. Ein Wunder, das unzähligen Straßenkindern ermöglichen sollte, ein würdiges Leben zu führen, in die Schule zu gehen und einen Beruf zu erlernen. Das Wunder kam in Form eines Briefes, die damals mehrere Wochen oder gar Monate unterwegs waren.”

Die Kirchengemeinde St. Konrad ließ mich in jenem Brief wissen, dass sie sich entschieden hatte, das neue Projekt zu unterstützen- und das, obwohl ich gar keine Unterstützung beantragt hatte. Pfarrer Bernhard Herrmann hatte diesen Brief unterschrieben. Im Dezember 1989 durfte ich Mannheim im Rahmen eines kurzen Heimaturlaubes besuchen. Ich lernte all die wunderbaren Menschen kennen, die den Erste-Welt-Kreis bildeten: Hans-Georg und Ingeborg Kowalski (Burkards Eltern), Magda und Karl-Heinz Keller, Hermine und Günter Haag, Karin und Ferdinand Meissner, Christine Engelhardt und viele andere mehr, mit deren Namen ich eine ganze Seite füllen könnte. Damals war ich bei Kowalskis zu Gast, wurde jedoch zu einem Mittagessen zuhause bei Familie Keller eingeladen. Ich kann mich sogar noch erinnern, dass es Kartoffelklöße gab.

Wie auch immer, die Aktivitäten der Gruppe nahmen ihren unaufhaltbaren Lauf und sie wurden zum wesentlichen Träger der Kinder- und Jugendwohngemeinschaft, zu der 2009 das Studenten- und Lehrlingsheim Luis Espinal hinzukam. Es wurde immer wieder nach neuen Möglichkeiten gesucht, um das nötige Geld für das Projekt zusammenzubekommen. Gleich am Anfang hatte jemand die Idee, gebrauchte Gegenstände wie Kleider, Möbel, Bücher und Haushaltsgeräte für eine Wohltätigkeitsveranstaltung zu sammeln. „In 30 Jahren Arbeit für Tres Soles wurden 60 Flohmärkte veranstaltet, zwei Stück pro Jahr, bei jedem Wetter, kein einziger wurde ausgelassen. Über 70 Personen halfen jeweils mit, die Stände aufzubauen, die Waren zu transportieren und sie letztendlich zu verkaufen. Während längerer Zeit waren wir der größte Flohmarkt weit und breit“, erzählte uns Magda später.  „Eine weitere Einnahmequelle waren Hochzeiten, Beerdigungen oder andere Feste, an denen anstelle von Blumen oder Geschenken eine Spende für Tres Soles erbeten wurde.”

2003 schafften es Magda und Hermine überdies, vom Kindermissionswerk in Aachen eine langfristige, finanzielle Unterstützung zu bekommen. Jede Spende, die an Tres Soles nach Bolivien geschickt wurde, stockte das Kindermissionswerk um 20% auf. Motiviert durch diese Vereinbarung kamen viele weitere Spender aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz hinzu.

In Tres Soles hatte sich derweil das Theater als ein alternativer Erziehungsansatz zu einem der Hauptpfeiler der Arbeit mit den Jungen und Mädchen entwickelt. Die projekteigene Theatergruppe war so erfolgreich, dass sie zu verschiedenen, internationalen Festivals und zu mehreren Tourneen nach Europa eingeladen wurde. Zum Bekanntschaftsgrad des Projekts trug auch dazu bei, dass ich zwei Bücher über unsere Erziehungsarbeit veröffentlichte. Wann immer wir mit einer unserer Gruppen nach Mannheim kamen, wurden wir von den Familien der Pfarrgemeinde gastfreundlich aufgenommen und es wurden Veranstaltungen organisiert, – wir nannten sie “Heimspiele”, zu denen unzählige interessierte Zuschauer und Zuhörer kamen.

2010 kam die schon fast 70-jährige Magda endlich dazu, ihr Lebenswerk persönlich kennenzulernen. “Immer wenn ich über Tres Soles spreche – und du weißt, dass ich es mit Herzblut tue – und mich plötzlich jemand fragt, ob ich schon einmal dort gewesen bin, weiß ich gar nicht, was ich antworten soll”, beichtete sie mir kurz vor der Reise. “Schließlich ist eine Reise nach Bolivien ziemlich lang, teuer und kompliziert und hinzu kommen das Alter und die Höhe!”

Auf Anraten ihres Arztes mussten denn ihr Mann Karl-Heinz und das Ehepaar Haag auch auf die Reise verzichten. Es war Guisela und mir jedoch eine große Ehre, Magda mit der Gruppe von Frauen des Eine-Welt-Kreises, die sie begleiteten, in Tres Soles im bolivianischen Quillacollo zu empfangen. Nach einem Festmenü zeigten ihnen die Kinder und Jugendlichen stolz das Haus, ihre Zimmer und die Werkstätten, zu denen die Schreinerei, die Backstube und die Karten- und Nähwerkstatt gehörten.

Während eines anderen Besuchs, zu dem dieses Mal Guisela und ich zusammen mit den Ehepaaren Keller und Haag beim Kindermissionswerk in Aachen eingeladen waren, fragte uns der 1. Vorsitzende, Dr. Gotthard Kleine, ganz erstaunt: “Wie ist es möglich, dass ein so kleines Projekt als rein private Initiative so lange bestehen kann? Nach 10 Jahren sind die Batterien bei den meisten Projekten aufgebraucht und sie sind am Ende.”

“Es ist möglich, weil es auf beiden Seiten des Atlantiks Menschen gibt, die zäh und beharrlich gegen alle Widerstände ein gemeinsames Ziel verfolgen”, erwiderte Hermine Haag schlicht und bescheiden.

Diese scheinbar unerschöpfliche Begeisterung und Arbeitskraft konnte nur vom unerbittlichen Nagezahn der Zeit gestoppt werden. Wir hoffen und beten, dass die Ehepaare Keller und Haag, trotz zunehmender gesundheitlicher Probleme, noch einen entspannten, zufriedenen Lebensabend verbringen dürfen. Wenn das bolivianische Sprichwort “man muss sich den Himmel auf Erden verdienen” auf jemanden zutrifft, dann bestimmt auf Magda, Hermine, Karl-Heinz und Günter und alle Mitglieder des Missio/Erste-Welt-Kreises der Kirchengemeinde St. Konrad in Rheinau/Mannheim, von denen leider schon viele verstorben sind. Im Grunde gibt es keine Worte, um ihnen unsere Dankbarkeit für alles, was sie für die Kleinsten und Schwächsten dieser Welt geleistet haben auszudrücken.


Stefan Gurtner, 2023

 
 


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